Was ist ein Totemtier?

7000 v.Chr. fühlten sich die Menschen noch eins mit der sie umgebenden Natur. Sie sahen keine wesentlichen Unterschiede zwischen sich und den Tieren, hielten sich für ebenbürtig und einige sogar für Wesen, die mit übernatürlichen Kräften ausgestattet sind. Der Mensch der Urgesellschaft war davon überzeugt, dass Tiere genauso wie Menschen in Geschlechtsverbänden und Stämmen leben. Für diesen Menschen stand fest, dass er selbst und sein Stamm in einer Verwandtschaftsbeziehung zu irgendeinem Tier stand. Das Wort, dass diese Beziehung kennzeichnet, heißt Totem und stammt aus der indianischen Sprache, wo es "verwandt" bedeutet.

Häufig, wenn von einem Totemtier die Rede ist, ist eigentlich ein Krafttier oder ein Tierschutzgeist gemeint. Ein Krafttier ist nur für einen Menschen "zuständig". Ein Totem kann in Form eines Tieres auftreten, aber auch als Pflanze oder Naturerscheinung und deren bildliche oder symbolische Darstellung. Für den Umgang mit einem Totem gibt es aber auch Tabus. Diese Tabus sind heilige Regeln. In den meisten Fällen darf ein Totem weder getötet, noch verletzt oder gegessen werden, aber hier gibt es auch Ausnahmen.

Ein Totemtier ist angeboren. Üblicherweise wird es entweder von Mutter oder Vater vererbt. Bei den Indianern Nordamerikas hat meistens ein ganzer Clan dasselbe Totemtier, während es bei den Aborigines in Australien nicht an eine Familie gebunden ist sondern einzelne Familienmitglieder verschiedene Totems haben und durch sie über die Familie hinaus eine besondere Beziehung zu ihrer Totemgruppe haben.

Ein Krafttier oder Tierschutzgeist ist ein persönlicher Helfer einer Einzelperson. Besonders die Nordamerikanischen Indianer sind dafür bekannt, dass sie durch körperliche und geistige Strapazen (zum Beispiel lange Wanderungen, langes Fasten, besuchen einer Schwitzhütte und vieles Mehr) eine Vision herbeizuführen versuchen. In dieser Vision zeigt sich ihnen dann ihr persönlicher Schutzgeist. In den meisten Fällen wird zur Entschlüsselung der Vision ein Schamane benötigt. Ein Krafttier kann dem Menschen auf vielerlei Weise zur Seite stehen. Beispielsweise bei der Jagd oder während einer Schweren Krankheit.

Krafttier Wolf

Der Wolf nimmt unter den verschiedenen Tierarten, die zum Totem wurden einen führenden Platz ein.

Im Indianerstamm der Tlinkit von der Nordwestküste Nordamerikas und bei den Irokesen, die im Südosten der Großen Seen lebten, gab es Sippen des Wolfs. In Turkmenien war der Wolf das Totem von 11 Sippen. Die Usbeken leiteten ihre Herkunft vom Wolf ab. Der Wolf zählte auch zu den Haupttotems der Eskimos der Bering-Straße, die ihre Waffen, Hausgerät und sogar ihre Gesichter mit Totemzeichen schmückten. Auch die Mongolen verehrten den Wolf. In einer Legende heißt es, dass ihr Volk von einem vom Himmel geborenen Wolf und einer Hirschkuh abstammt. Als Urmutter der alten Türken galt eine Wölfin. In Überlieferungen heißt es, dass eine Wölfin einen hilflosen zehnjährigen Knaben vor dem Tode gerettet habe. Er war der einzige, der vom Stamm der Hunnen am Leben geblieben war, nachdem diese von Feinden vernichtet worden waren. Als der Junge erwachsen wurde, brachte die Wölfin zehn Söhne zur Welt, deren Vater der er war. Jeder dieser Söhne war der Begründer einer Geschlechterlinie.

Die Verehrer eines Totems waren davon überzeugt, dass sie in den unterschiedlichsten Lebenssituationen mit dessen Unterstützung und Schutz rechnen konnten.

Noch vor wenigen Jahren glaubten die Usbeken, bei denen sich die Organisation in Geschlechtsverbänden erhalten hatte, an die Hilfe ihres Urvaters, des Wolfs.  Um einer Frau eine schwierige Geburt zu erleichtern, legte man ihr wie ein Armband einen Wolfskiefer um das Handgelenk. Oder man zerrieb ein Stück getrocknetes Wolfsherz zu Pulver, löste es in Wasser und gab es der Frau zu trinken. Ein Neugeborenes hüllte man in ein Wolfsfell, damit es lange lebte. An die Wiege hängte man als Amulett Wolfszähne, Krallen und Afterzehen. Erwachsene Usbeken trugen, um sich gegen jegliches Unglück zu schützen, Eckzähne, Zähne und Krallen vom Wolf. Diese Amulette durften nicht verkauft werden, man konnte sie nur verschenken. Nicht weniger als die Usbeken vertrauten die Burjaten auf den Schutz des Wolfs. Wenn jemand Fieber bekam, wurde er in ein Wolfsfell gewickelt. Kasachen oder Kasantataren rieben bei Ausschlag oder Flechte die Stelle mit einem Wolfsschweif. In Europa tritt der Wolf nicht selten im Volksglauben als Beschützer auf. Der römische Gelehrte Plinius d. Ä. schrieb, dass ein Wolfskopf die Kraft eines Zaubers breche. Eben aus diesem Grunde wurden sie an das Tor der Landsitze genagelt. Zu dem gleichen Zweck verwendete man in Deutschland im 19.Jh. im Pferdestall eine Wolfspfote.

Einem Totemtier nicht die nötige Achtung entgegen zu bringen, zählt zu den Tabus im Umgang mit dem Krafttier. Schon seit frühester Zeit glaubten die Menschen, dass Tiere die menschliche Sprache verstehen können. Um das Krafttier nicht zu beleidigen, denn dann würde es sich an einem rächen, verwendeten viele Völker Tabubezeichnungen für die Tiere. Bei den Esten hieß der Wolf z.B. "Hirte", "Langschwanz" oder "Onkel", bei den Litauern "Feldgeist", bei den Korjaken "der sich abseits im Hintergrund hält" und bei den abchasischen Jägern "glücklicher Rachen".

Da der Mensch das Totemtier als seinen verwandten ansah, begegnete er selbst dem toten Tier noch mit Ehrerbietung. Bei den alten Athenern herrschte der Brauch, jedem getöteten Wolf ein Begräbnis auszurichten. Auch die Jakuten überließen einen toten Wolf nicht einfach seinem Schicksal: Sie wickelten ihn in Heu und hängten ihn an einen Baum, d.h. sie bestatteten ihn, wie es bei den Taigabewohnern alter Brauch war. Auch die Usbeken bestatteten einen Wolf, indem sie ihn der Erde beisetzten.

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